Im Jahr 2002 initiierte der Richard Wagner Verband Minden aus Anlass seines 90-jährigen Bestehens die Aufführung von Richard Wagners Oper Der Fliegende Holländer im örtlichen Stadt­theater. Ausgangspunkt und Intention dieses Projektes war, nicht nur künstlerisch hochwertiges Musiktheater zu ermöglichen, sondern besonders durch Einbindung lokaler Kräfte sowohl „auf“ als auch „hinter“ der Bühne, gepaart mit starkem bürgerschaftlichem Engagement bei der Finanzierung und Durchführung, eine aktive Begeisterung für das Werk Richard Wagners in der Stadt Minden und deren Umgebung zu etablieren. 

Es entstand eine Gemeinschaftsproduktion des Richard Wagner Verbandes Minden mit dem Landesorchester NRW Nordwestdeutsche Philharmonie mit Sitz in Herford und dem Stadttheater Minden, für die als wesentliches Ziel auch die Einbindung Jugendlicher und eine eigene, mit den Schulen der Region vorbereitete Schüleraufführung definiert und umgesetzt wurde. Der Erfolg dieser ersten Produktion wurde bereits überregional wahrgenommen und animierte die Produktionsgemeinschaft zu weiteren Vorhaben mit gleicher Zielsetzung: so führte im Jahr 2005 Keith Warner bei Tannhäuser Regie, 2009 inszenierte John Dew Lohengrin, es folgte 2012 Tristan und Isolde (Regie Matthias von Stegmann und Andreas Schager in der Titelrolle). Den Höhepunkt stellte aber zweifelsohne die international sehr beachtete Produktion Der Ring des Nibelungen (Regie: Gerd Heinz) in den Jahren 2015–2018 dar, die 2019 ihren Höhepunkt in zwei zyklischen Gesamtaufführungen fand und der Stadt Minden zum Attribut „Bayreuth des Nordens“ verhalf. Bei allen Produktionen wurde die Nordwestdeutsche Philharmonie von dem Wagnerspezialisten Frank Beermann geleitet, der persönlich auch in die jeweiligen Schulvorstellungen einführte. Die durch die besonderen Aufführungsbedingungen im Mindener Theater kreierte und akustisch hervorragende Aufstellung des Orchesters hinter der Szene und einer Gaze als Videoprojektions­fläche hat sich bereits in der Musiktheaterlandschaft etabliert und wird als sog. „Mindener Modell“ an den Hochschulen weitergegeben. 

Das Stadttheater Minden ist ein neobarockes Bespieltheater aus der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts mit gut 500 Plätzen und erfreut sich als einer der zentralen Ankerpunkte des Kulturlebens im Mindener Raum großer Akzeptanz. Mit eigenen Jugendtheaterproduktionen oder auch dem mehrfach ausgezeichneten Projekt „Das neue Wir“ nimmt es aktiv am gesellschaftlichen Diskurs teil. Wirtschaftlich getragen wird es durch die Stadt Minden, die auch Mitglied im kommuna­len Trägerverein der Nordwestdeutschen Philharmonie ist. Die Nordwestdeutsche Philharmonie hat ihren Sitz im ostwestfälischen Herford und ist eines der drei Landesorchester NRW. Sie gestaltet seit über 70 Jahren das sinfonische Konzertleben in Ostwestfalen-Lippe, in der Stadt Minden u. a. mit jährlich 6 Abonnementkonzerten sowie regelmäßigen Angeboten von Kinder- und Jugendkonzerten im Stadttheater; darüber hinaus ist das Orchester offizieller Kooperations­partner des Ratsgymnasiums Minden.

Die Mindener Wagnerproduktionen bieten interessante künstlerische Perspektiven: auf Grund der begrenzten Bühnenverhältnisse verbietet sich großes und aufwändiges Ausstattungstheater. Stattdessen wird von Regisseur und Bühnenbildner eine inhaltliche Konzentration gefordert, die noch dadurch verstärkt wird, dass das Orchester wie auch ein evtl. einzusetzender Chor nur hinter der Spielszene auf der Hinterbühne platziert werden können. Die akustischen wie auch inhalt­lichen Vorteile liegen auf der Hand: Die für diese Bedingungen besonders ausgesuchten, erst­klassigen Sänger agieren vor und nicht wie üblich hinter dem Orchesterklang und können so durch differenzierte Mimik und Rollenspiel mit dem Publikum direkt in Kontakt treten. Durch die gewonnene Textverständlichkeit sowie die Transparenz des sinfonischen Orchesterklangs und eine kurze Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum wird das Publikum in der Manier eines Kammerspiels in die Aufführung hineingenommen. Besonders deutlich ist dieser Effekt bei den – gut vorbereiteten, aber ungekürzten und nicht zurechtgestutzten – Schulaufführungen zu bemerken, deren Rückmeldungen eindeutig zeigen, dass bei vielen Jugendlichen wichtige Impulse für eine weitere Beschäftigung mit „Oper Live“ gesetzt werden konnten. 

Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit der drei ostwestfälischen Kulturinstitutionen ist Richard Wagners Idee vom „Theater für Alle“ – ein Ansatz, der in Minden und Umgebung zu einer Wagner­begeisterung geführt hat, die nicht nur Schülerinnen und Schüler erfasst hat, sondern die Teilhabe am Genre Musiktheater auch einem eher theaterfernen Publikum eröffnen konnte. Auch ist es in Minden seit Beginn der Eigenproduktionen vor 20 Jahren eine gute Tradition geworden, dass die Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners mit einer Vielzahl von interessanten, einführenden Veranstaltungen begleitet wird und das jeweils aktuelle Opernprojekt eine aktive und in erheblichem Maße auch finanzielle Unterstützung durch Spender und Sponsoren erfährt. Diese Verankerung in der Mindener Gesellschaft zeigt sehr deutlich, dass das „Mindener Modell“ nicht nur erstklassige, von der überregionalen Fachpresse hochgelobte Produktionen hervor­gebracht hat, sondern dass durch viel Eigeninitiative ein Angebot von internationalem Interesse auch für die vermeintliche Provinz eingefordert und ermöglicht wird.

Die Richard Wagner Verbände in Deutschland haben es sich nicht nur zur Aufgabe gemacht, das Œuvre Wagners zu pflegen, besonders auch die Nachwuchsförderung ist ihnen ein wichtiges Anliegen. Der aus diesem Grund große Anteil an Rollendebüts hat deutlich werden lassen, wie wichtig es für die künstlerische Entwicklung von jungen Sängerinnen und Sängern ist, die Gelegen­heit zur Mitwirkung in einer anspruchsvollen Opernproduktion zu bekommen: Viele Solistinnen und Solisten der vergangenen Produktionen haben sich in Minden profilieren und für die Übernahme internationaler Verpflichtungen qualifizieren können.

Mit den 6 Aufführungen und einer eigenen Schulvorstellung von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal unter der Regie des Lausanner Intendanten Erik Vigié wird die erfolgreiche Arbeit in und für Minden weitergeführt.